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Kunst und Kultur sind Gradmsser der Offenheit einer Gesellschaft. Der Hamburger Kultursenator Dr. Carsten Brosda im Interview

 
14. Dezember 2021
  • 11. KupoBuko

Carsten Brosda, Hamburger Senator für Kultur und Medien, veröffentlichte Anfang 2020 ein Buch mit dem Titel „Die Kunst der Demokratie“. Unter dem gleichen Titel wird der 11. Kulturpolitische Bundeskongress der Kulturpolitischen Gesellschaft e. V. und der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb im Juni 2022 stattfinden.  Im Interview beantwortet Brosda Fragen der Blog-Redaktion.

Blog-Redaktion: „Kunst der Demokratie“ ist ja durchaus mehrdeutig zu verstehen Welche Aspekte stehen für Sie dabei im Vordergrund?

Carsten Brosda: Der Titel meines Buches „Die Kunst der Demokratie“ ist ja auch mehrdeutig gemeint. Zum einen geht es um die Kunst der Demokratie in einem dezidiert politischen Sinne, um die Frage, wie eine Demokratie in einer sich wandelnden Gesellschaft funktionieren kann, die sich nicht nur immer stärker diversifiziert, sondern auch immer stärker ausdifferenziert. Dabei muss uns klar sein, dass sich Politik nicht im Administrieren erschöpft, sondern immer auch Gestaltung sein muss. Und das kann dann schon eine Kunst sein. Aber es geht in dem Buch zweitens eben auch um die Rolle der Kunst in der Demokratie, um Fragen nach dem Wesen der Kunst und nach ihrer Bedeutung für unsere Gesellschaft. Wenn wir über Zusammenhalt und Zusammenhang, über Kohäsion und Kohärenz sprechen, dann sind damit immer auch kulturelle Aspekte berührt. Schließlich geht es dann um die gesellschaftliche Arbeit am Sinn unseres Zusammenlebens. Genau das können Künstler*innen befeuern, indem sie in unseren Alltag intervenieren, uns aufrütteln oder inspirieren. Nicht weil sie irgendetwas tun müssten, weil sie nur dann gefördert würden. Schließlich ist die Kunst frei. Sondern weil die Kunst aus ihrer Freiheit heraus unmittelbarer zu diesen grundsätzlichen Themen vorstoßen kann.

Was sind aus Ihrer Sicht derzeit die größten Gefahren für die Demokratie?

Mein Buch ist Anfang 2020 erschienen, kurz vor der Corona-Pandemie, von deren Dimension wir damals kaum etwas ahnten. Die Pandemie hat auf der einen Seite bereits bestehende Gefahren verstärkt und auf der anderen Seite neue Gefahren zutage gefördert. Zunehmende Individualisierung, der Verlust des Allgemeinen und Verbindlichen, die Abneigung gegenüber Menschen, die nicht die eigene Meinung vertreten und die zunehmende Zersplitterung in Affektgemeinschaften sind Beispiele für problematische gesellschaftliche Entwicklungen, die durch die Pandemie verstärkt wurden. Wenn Menschen die Fähigkeit einbüßen, anderen unvoreingenommen zuzuhören und von vornherein annehmen, der oder die andere hat sowieso nicht recht, dann sind weder Gemeinschaft noch Gemeinsinn möglich. Im Verlauf der Pandemie ist meine Sorge gestiegen, dass uns in der Politik ein Verlust der Vernunft droht. Immer wieder müssen wir Emotionalitäten und Irrationalitäten aushalten, die kaum auszuhalten sind. Es wird zunehmend wichtiger, dass wir uns darum kümmern, dass wir Notwendiges besser begründen und Sinnvolles auch sinnvoll erzählen. Das ist nicht immer gelungen im Notfallmodus der Pandemiebekämpfung, auch weil wir viele Maßnahmen ergreifen mussten, die sich gesellschaftlich ziemlich falsch anfühlten und dennoch medizinisch betrachtet richtig waren. Das Aushalten solcher Situationen setzt Ambiguitätstoleranz voraus, also das Aushalten von Uneindeutigkeiten. Das aber wird auf Dauer nur gelingen, wenn Vertrauen zwischen Politik und Gesellschaft nicht verloren geht, sondern durch sorgsame Kommunikation gestärkt wird.

Sie sprechen von der „Kunst als Motor der Demokratie“ – Inwiefern können Kunst und Kultur zur Förderung und Stärkung der Demokratie beitragen?

Wann immer wir uns der Kunst aussetzen, sei es im Kino, im Theater, im Museum oder beim Lesen eines Buches, begegnen wir der Welt mit offenen Augen. Wir laufen der Kunst ins offene Messer, manchmal irritiert uns das, was wir entdecken, manchmal inspiriert es uns aufs Tiefste. Immer wieder aber lehrt uns die Kunst, dass es weder in Stein gemeißelte Gewissheiten, noch eine absolute Wahrheit gibt. Immer wieder müssen sie gemeinsam gefunden und errungen werden. Kunst verlangt von uns eine Antwort darauf, was wir für wahr halten. Dabei ist niemand alleine im Besitz der Vernunft – sie entsteht immer erst im Gespräch zwischen Menschen. Diese Erkenntnis, der eine intrinsische Offenheit vorausgeht, ist ein Motor der Demokratie.

Künstler*innen, Kunstwerke, Kulturinstitutionen und kulturelle Veranstaltungen werden von verschiedenen Seiten unter Druck gesetzt und angegriffen – die Situation scheint sich seit einigen Jahren zu verschärfen. Warum ist das so und was bereitet Ihnen dabei die größten Sorgen?

Kunst und Kultur sind Gradmesser der Offenheit einer Gesellschaft. Dass sie relevant sind, sehen wir an der Schärfe der Debatten, die um sie geführt werden. Kulturorte sind „geistreiche“ Orte, die als solche geschätzt aber auch gefürchtet werden. Vom rechten Rand wird seit einigen Jahren das Argument vorgetragen, dass ein Theaterrepertoire zu einem bestimmten Prozentsatz „deutsche Klassiker“ spielen sollte. Hier geht es um eine politische Indienstnahme der Kunst, die ihre verfassungsrechtlich gesicherte Freiheit in Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes im Keim zu ersticken versucht. Dabei ist der Maßstab jeglichen kulturpolitischen Handelns, die Freiheit der Kunst zu garantieren. Diese Freiheit ist Anfang und Ziel. Die Beschaffenheit des Weges zu diesem Ziel wird jedoch seit einiger Zeit von einigen hinterfragt. Brauchen wir in der Kunst und in den Betrieben Quoten? Und wenn ja: welche? Kann erst durch sie die Freiheit der Kunst realisiert werden? Die Antwort ist nicht eindeutig, schon allein aufgrund der Vielfalt und Unterschiedlichkeit unserer Kulturlandschaft in Städten und Regionen. Was aber klar ist, ist, dass extreme Forderungen nie eine geeignete Lösung offerieren. Daher sind alle Debatten um die Kunst und um die Freiheit der Kunst richtig, auch wenn sie in der Sache strittig sind. Meine größte Sorge wäre, wenn wir gar keine Debatten mehr führen würden, denn dann würden wir die Kunst nicht nur ihrer Freiheit, sondern auch ihrer Bedeutung berauben.

Was können Akteur*innen der Kulturpolitik konkret tun, um die Freiheit der Kunst zu sichern?

Um die Freiheit der Kunst zu sichern, braucht es den Austausch verschiedener Akteur*innen der Kulturpolitik. 2018 haben wir vor diesem Hintergrund die Kulturministerkonferenz gegründet. Hier kommen die Kulturminister*innen der Länder zusammen, beraten über nationale Belange und bündeln Interessen. Kultur ist in Deutschland Ländersache. Die Länder prägen maßgeblich den Umfang der Kulturförderung. Dass Kultur rechtlich – mit wenigen Ausnahmen – auf kommunaler Ebene als freiwillige Ausgabe definiert wird, macht den Austausch untereinander umso wichtiger. Er allein reicht aber noch nicht aus. Denn während der Bund Kulturausgaben maßgeblich in der Hauptstadt und im Ausland fördert, tragen die Kommunen als kleinste Verwaltungseinheit die höchsten Kosten der Kulturausgaben. Gerade in Zeiten noch knapperer Haushalte nach der Pandemie wird es darum gehen, dass Fördermittel auch bei den Kommunen ankommen. Was wir gewiss nicht brauchen, ist ein föderaler Kulturkampf. Ich setze einige Hoffnung in das bundesweite Kulturplenum, das die Ampel im Bund vereinbart hat. Hier sollen Akteur*innen aus Politik, Kunst und Zivilgesellschaft gemeinsam geeignete Rahmenbedingungen für künstlerisches Schaffen definieren und sich besser abstimmen. Gleichzeitig wird es eine entscheidende kulturpolitische Aufgabe der nächsten Jahre sein, die sozialen Sicherungssysteme so zu justieren, dass auch soloselbständige oder hybrid beschäftigte Künstler*innen und Kreative besser abgesichert sind. Dass wir hier Nachholbedarf haben, hat uns die Pandemie deutlich gezeigt. Die Freiheit der Kunst ist schließlich immer nur so frei, wie es diejenigen sind, die sie produzieren.

Dr. Carsten Brosda

Dr. Carsten Brosda ist Senator für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg und Präsident des Deutschen Bühnenvereins. Er ist Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie und Co-Vorsitzender der Medien- und Netzpolitischen Kommission des SPD-Parteivorstands. Dr. Carsten Brosda publiziert regelmäßig zu gesellschaftspolitischen Themen, seit 2019 sind drei Bücher von ihm erschienen: »Die Zerstörung« (2019), »Die Kunst der Demokratie« (2020) und »Ausnahme / Zustand« (2020). Er ist Mit-Herausgeber des Buchs »Kann das wirklich weg?« (2021).