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Diversitätsagent*in. Ein neues Berufsbild?

 
2. Februar 2022
  • 11. KupoBuko

Viele Kulturinstitutionen in Deutschland haben sich auf den Weg zu einer Öffnung für mehr Diversität gemacht. Die Kulturstiftung des Bundes unterstützt seit 2018 im Rahmen des Förderprogramms „360° – Fonds für Kulturen in der neuen Stadtgesellschaft“ insgesamt 39 Kultureinrichtungen in Deutschland auf diesem Weg. Die teilnehmenden Theater, Orchester, Museen und Bibliotheken wollen sich in den Bereichen Programm, Publikum und Personal diversitätsorientiert weiterentwickeln. Dafür haben sie im Rahmen des „360°-Programms“ so genannte Agent*innen für Diversität eingestellt.

»Mit den Diversitätsagent*innen haben wir sozusagen ein neues Berufsbild geschaffen. Und ihre Arbeit ist wirksam. Die Stelle sorgt jeweils kontinuierlich dafür, dass Diversität in der Einrichtung bearbeitet wird.«
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Anna Zosik, Kulturstiftung des Bundes

Die Erfahrungen im „360°-Förderprogramm“ zeigen, dass Diversitätsprozesse tiefgreifend, umfassend und komplex sind – und dass sie Zeit brauchen und langfristig angelegt sein müssen. Diese langwierigen Prozesse auszuhalten und ständig dranzubleiben erfordert Ausdauer – und Geduld. Fünf Diversitätsagent*innen berichteten darüber und über andere Aspekte ihres Jobs während einer Podiumsdiskussion der Tagung „AUFBRECHEN! Ran an die Strukturen!” am 24. Januar 2022. Sie ziehen eine Art Zwischenbilanz nach drei Jahren im Programm und teilen ihre Erfahrungen.

Rollen und Erwartungen

Mit den neu geschaffenen Stellen waren und sind viele Erwartungen und auch Rollenzuschreibungen verbunden. Ella Steinmann berichtet beispielsweise, dass sie in der Anfangszeit als Agentin für Diversitätsentwicklung am Theater Oberhausen manchmal das Gefühl gehabt hätte, „als Polizistin gesehen zu werden, die guckt, ob es richtig läuft“. Sie selbst hatte sich vorgenommen, stets einen Außenblick zu bewahren, mit der Zeit sei dies aber gar nicht mehr so leicht, weil man beginne, die Institutionslogik anzunehmen. Sie werde oft nach Sichtweisen und Bedürfnissen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen gefragt. Sie selbst sieht sich aber nicht in der Rolle, ständig zu erklären, und auch nicht in der Lage, die Interessen verschiedenster Gruppierungen zu vertreten, sondern eher darin, die Institution dabei zu begleiten, sich zu öffnen und weiterzuentwickeln.

Auch Sophie Kara-Ebner berichtet von großen Erwartungen verschiedener Seiten an sie in ihrer Rolle als Agentin für Diversität am Nationaltheater Mannheim. Viele Kolleg*innen am Theater erwarteten von ihr, dass sie immer klare Antworten auf alle Fragen habe. Seitens einiger Stakeholder der Stadtgesellschaft gäbe es ebenfalls große Erwartungen an sie als Diversitätsagentin. Diese seien für sie ein ständiges Korrektiv und eine Mahnung, den Blick auf die Institution von außen nie zu verlieren und sich zu fragen, für wen sie all das tue.

Aufgaben und Herausforderungen

Sollen wirklich tiefgreifende Veränderungen bewirkt werden, ist es immens wichtig, dass die Hausleitung und möglichst viele Mitarbeiter*innen in der Einrichtung Diversität zu ihrem Anliegen machen, dies betonen alle Agent*innen. Sie arbeiten an verschiedenen Stellen daran, Diversität auf allen Ebenen auch strukturell herzustellen und zu sichern. Dies geschieht individuell unterschiedlich in den einzelnen Kultureinrichtungen: Die Agent*innen organisieren zum Beispiel Sensibilisierungsworkshops und Gesprächsrunden für Mitarbeitende, sie beraten bei Stellenausschreibungen, prüfen Hausordnungen, nehmen an Gremiensitzungen teil, suchen neue Kommunikationswege zum Publikum oder gestalten eigene inhaltliche Beiträge zum Programm.

»Ich mache viel Beziehungsarbeit und sehe mich als Anlaufstelle für Menschen, die Fragen oder Redebedarf zum Bereich Diversität haben, abseits von den klaren Abläufen eines Theaters.«
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Judith Blumenberg, Diversitätsagentin

Bei Prozessen der Diversitätsentwicklung ist es gut und wichtig, dass auch unbequeme Perspektiven sichtbar werden, so die Agent*innen. Konflikte und deutliche Kritik gehören dazu, sei es in internen Workshops, wo Themen geschützt und offen ausgesprochen werden können, oder auch sichtbar nach außen, etwa in Publikationen der Häuser. Öffentliche Selbstkritik der Institutionen sei dabei ein wichtiger Faktor, betont Ella Steinmann. Für die Öffnung von Kulturinstitutionen ist Ambiguitätstoleranz demnach unabdingbar.

Ziel: den eigenen Job überflüssig machen?

Man könnte meinen, das Ziel der Diversitätsagent*innen sollte es sein, sich selbst beziehungsweise den Job überflüssig zu machen, indem sie es schaffen, dass Sensibilität und Öffnung für Diversität für viele Akteur*innen in der Institution selbstverständlich geworden und entsprechende Strukturen aufgebaut sind. André Uelner ist anderer Ansicht – er ist davon überzeugt, dass es wichtig ist, innerhalb der Institution Expert*innen für Diversität zu haben, die immer am Thema dranbleiben.

»Wir Agent*innen werden zu Expert*innen für diese Arbeit. Wir entwickeln Kompetenzen, die es vorher so nicht gab.«
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André Uelner, Diversitätsagent

Auch Sophie Kara-Ebner ist davon überzeugt, dass alle Kulturinstitutionen Diversitätsagent*innen bräuchten, sie vergleicht die Aufgabe mit der Rolle von Gleichstellungsbeauftragten. Guy Dermosessian, Diversitätsagent am Düsseldorfer D’Haus, pflichtet ihnen bei. Auch er meint, dass es in jeder Institution eine Person geben müsse, die die Diversitätsentwicklung als Hauptaufgabe habe, weil sie so vielschichtig sei und es Expertise brauche, und immer wieder den geschärften Blick und die ausgeprägte Sensibilität. Der Prozess werde nie vorbei sein, weil sich die Gesellschaft ständig weiterentwickle.

Das „360°-Förderprogramm“ umfasst eine Fördersumme von 13,9 Millionen Euro und läuft zunächst noch bis 2023 – es bleibt somit offen, wie sich die durch die Agent*innen angestoßene Öffnung der Institutionen in Zukunft weiter verfolgen lässt. 

Website des Förderprogramms mit zahlreichen Links zu Videos aus den Werkstätten und Akademien des Programms, zu Podcasts und Beiträgen über das Programm und die Agent*innen: https://www.360-fonds.de/

Tagung AUFBRECHEN! Ran an die Strukturen!, 24.-26. Januar 2022

Digitale Tagung Ungeduld – auf dem Weg zu mehr Diversität in Kulturinstitutionen, 25./26. November 2021 mit

Positionspapier Diversität als Zukunftsfaktor. Empfehlungen für eine nachhaltige Diversitätsentwicklung in Kulturinstitutionen aus dem Programm 360° – Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft