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Krisenstimmung und Möglichkeitsräume. Gedanken zum 11. Kulturpolitischen Bundeskongress

 
4. Oktober 2022
  • 11. KupoBuko

Es ist in der letzten Zeit immer wieder über die Notwendigkeit von Plattformen gesprochen worden, auf denen der Weg in die Zukunft bereitet werden könne. Will man diese auch im Sinne eines Diskursraumes verstehen, kann der vergangene Kulturpolitische Bundeskongress zu Recht als eine solche Plattform gesehen werden. Unter dem Kongress-Titel »Die Kunst der Demokratie« traf sich Anfang Juni eine Mischung erfahrener Kongress-Kennerinnen mit Debütantinnen auf dem kulturpolitischen Parkett, die nicht nur neue Ideen und Anregungen mitbrachten, sondern auch Bisheriges deutlich infrage stellten.

Überall war zu merken, dass nach zwei Jahren Pandemie die Freude groß war, sich wieder live zu begegnen. Die Kaffeepausen-Gespräche wurden ausgiebig genutzt, um auch abseits der offi ziellen Agenda Haltungen und Meinungen auszutauschen. Bis heute gibt es dazu noch kein funktionierendes Äquivalent im Digitalen!

Es ging also in den zwei Tagen in Berlin um nichts Geringeres als die Kunst der Demokratie – ein Titel, den man von Carsten Brosdas gleichlautender Publikation entlehnt hatte und der in den Auftaktreden zum Kongress als moralischer Kompass eingenordet wurde.

Claudia Roth berührte alle zutiefst, als sie von ihrer Reise in die Ukraine erzählte. Sie machte vor allem klar, welche Bedeutung Kultur auch für die Freiheit der Menschen generell hat. Und so ging es beim Kulturpolitischen Bundeskongress auch ganz klar um die Frage, welche Auswirkungen die Krise der Demokratie für jeden Einzelnen hat, um dann Überlegungen zu den Konsequenzen für die Kulturinstitutionen anzuschließen. Am Ende musste der Blick nämlich auch auf die notwendigen Veränderungen im gesellschaftlichen System geworfen werden.

Carsten Brosda gab dem Plenum in die folgenden Diskussionen den Appell mit, dass wir nichts dringender bräuchten als die Zuversicht, dass die Dinge gestaltbar und veränderbar seien. Wie viel von dieser Zuversicht am Ende mit in den Alltag genommen werden kann, bleibt eine spannende Frage, die man sich aber wohl nach jedem Kongress, nach jeder Tagung stellen wird. Kleine Saatkörner mögen hoffentlich hier und da aufgegangen sein.

In der Nachlese lassen sich drei Ebenen definieren, mit denen man den Diskurs in den beiden Kongresstagen
gut strukturieren und so für die Zukunft festhalten kann: die Perspektive des Individuums, die Zukunftsaufgaben der Kulturinstitutionen und Veränderungstendenzen im System.

Das Individuum

Nimmt man die kleinste Einheit des Systems, so ging es hinsichtlich der Kunst der Demokratie vor allem auch um das Moment der persönlichen Betroffenheit. Tobias Knoblich brachte es auf den Punkt: Das Verbindende bei allen Debatten um die Demokratie ist am Ende das Ich. Und natürlich auch die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen.

Mehr als einmal stand das Thema der Emotionen im Raum, von denen man in kulturpolitischen Debatten lieber Abstand nehmen möchte. Aber schon Claudia Roth machte deutlich, dass dies nicht der richtige Weg ist. Denn wie kann es beim Thema Krieg um anderes gehen als um Trauer und Wut – auch angesichts der Zerstörungen von Kunst und Kultur?

Das Wort Krise fiel in den zwei Tagen häufig und eröffnete zahlreiche Anknüpfungspunkte, die aus der persönlichen Perspektive betrachtet werden müssen. Wenn es um Diskriminierungserfahrungen geht, zum Beispiel – da wird es verständlicherweise emotional.

Wir sind hier alle lost! Das war einer der wahrhaftigsten Sätze dieses Bundeskongresses, dem Dan Thy Nguyen aber die Hoffnung mitgab, dass dies doch eine gute Basis sei, um Neues zu gestalten. Das Wir in Berlin mit den ca. 400 Vertreter*innen von Kulturschaffenden, aus Kulturpolitik und Kulturinstitutionen zeigte sich dann auch insgesamt sehr homogen, auch wenn die blinden Flecken oder Brüche in der Kunst der Demokratie durchaus benannt wurden. Die Panels beschäftigten sich zum Beispiel mit der Kunstfreiheit, mit Cancel Culture oder mit gefährlichen Echokammern. Der Krisenstimmung wurden aber auch positive Impulse gegenübergestellt, die von Stärkung durch Erinnerungskultur über künstlerische Interventionen und
politischen Aktivismus bis zu Chancen durch Bürgerräte reichten.

Genau das macht die Superpower eines solchen Bundeskongresses im Sinne einer diskursiven Plattform aus: Wenn man die unterschiedlichsten Individuen mit all ihren Erfahrungen, aber auch Erlebnissen zusammenbringt, wenn man alle gleichermaßen zu Wort kommen lassen kann, dann ist schon viel gewonnen.

Kein Geheimnis ist, dass besonders die Kontroverse viel tut für die Demokratie. Diese allerdings hätte man sich in manch einem Panel noch stärker gewünscht. Aber das stößt in der grundsätzlichen Aufteilung von Podium und Publikum schnell an seine Grenzen. Es gibt dabei ein gewisses Gefälle allein schon durch diese Formatwahl. Das kann man im Sinne der Beteiligungskultur für die individuelle Teilnahme in Zukunft bestimmt noch optimieren.

Die Kulturinstitution

Man konnte den Eindruck gewinnen, dass ein Großteil der Kongressteilnehmenden aus Kulturinstitutionen nach Berlin kam – in dem redlichen Bemühen, endlich Lösungen für so viele drängende Probleme zu bekommen. Wobei oft die Frage gestellt wurde, ob die Kulturinstitutionen überhaupt jene Orte sein können, an denen Demokratie ausgehandelt wird. Im Panel zur Cancel Culture zum Beispiel wurden den Experten
ganz konkrete Fragen dazu gestellt, welche Haltung die Kulturinstitutionen bei diesem Thema einnehmen sollten. Man merkte deutlich, wie sehr sich alle danach sehnen, Einordnungen jenseits aufgeregter Debatten in den sozialen Netzwerken zu bekommen. Die Antwort erfolgte pro Diskurs – auch bei schwierigen Inhalten!

Bei den Themen Partizipation und Diversität wurde in den Diskussionsforen mehr als einmal deutlich, dass es durchaus an einem internen Prozess der Haltungsbildung in den Institutionen selbst mangelt. Und Max Czollek beschrieb klar die Diskrepanz zwischen dem Gesagten und dem tatsächlichen Tun: Es entstehe der Eindruck, dass es mitunter an Konsequenzen aus einer ambitioniert vorgetragenen Demokratisierungs-
Prosa fehlt.

Wenn also jetzt Kulturinstitutionen die Kraftzentren für die Demokratie sein sollen, dann braucht es enorme Energie, Veränderungen anzugehen und auch die bisherigen institutionellen Logiken aufzugeben. Denn Kulturinstitutionen sind nicht nur gute Orte der Aushandlungsprozesse von Demokratie, sondern sie sollten diese auch selbst authentisch leben. Und damit kommen die Stichworte auf den Tisch, die während des Bundeskongresses in vielen Panels auftauchten: Partizipation, Augenhöhe, Machtverzicht zum Beispiel auf der einen Seite, aber auch Solidarität, Gemeinschaft und Kollaboration auf der anderen Seite.

Am Ende steht die Frage, ob man sich hinter der Idee der Next Generation vereinen kann oder eher die Beharrungstendenzen die Oberhand behalten. Der hier und da wahrgenommene Stoßseufzer, ob denn die Institutionen alles gesellschaftliche Übel richten sollten, kann möglicherweise desillusionieren. Allerdings blickte man in den Diskussionsrunden auch auf genügend gute Beispiele, mit denen gezeigt wurde: So
sollte man Veränderungen angehen. Stellvertretend soll hier der Frankfurter Kunstverein genannt werden, der mit innovativen Ausstellungskonzepten Gruppen eine Stimme verleiht, die sonst nicht gehört werden. Schon gar nicht im Kulturbetrieb.

Das System

Kommen wir vom Speziellen zum Allgemeinen. Natürlich ist alles immer miteinander verbunden, doch wenn nach verbesserten Situationen für die Einzelnen, nach veränderten Rahmenbedingungen in den Institutionen gefragt wird, muss man den Blick auf das große Ganze richten. Und sich fragen, welche Leitplanken es vor allem kulturpolitisch in den Boden zu rammen gilt für einen Kurs, der der richtige für die Zukunft sein soll.

Mit Tobias Knoblich sind wahrscheinlich die meisten d’accord: Allgemeines Dekonstruieren kann nicht die Lösung sein. Die Transformation muss auf dem Bestehenden aufbauen. Aber wie kann dies gut gelingen, wenn es doch vor allem auch um Verteilungsfragen geht? Bei dem Wenigen, was es überhaupt zu verteilen gibt. Denn – und auch hier wieder Krise, Krise, Krise – es sind Zeiten, in denen es Kunst und Kultur kaum
schlechter gehen könnte. Ja, die Pandemie hat an allen gezerrt, die allgemeine Weltlage ist auch gerade nicht so, dass man Wachstumsschübe zu erwarten hat. Und überhaupt: Ist denn Wachstum das,
was man generell anstreben sollte?

Im Grunde ähnelte vieles, was in den Panels des Kulturpolitischen Bundeskongresses betrauert wurde, den zahlreichen Webtalks der letzten zwei Jahre. Und nichts ist verständlicher, als sich angesichts all dieser Unbill gegenseitig noch einmal zu versichern, wie schwer man es hat. Das ist quasi in die DNA der Kulturbranche eingeschrieben. Es bleibt am Ende nur immer viel zu wenig Zeit, sich Gedanken über die Erlösung aus dem Unglück zu machen.

Es gab sie aber dann doch: die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Und die hatte vor allem mit Solidarität zu tun. Mit der Vorstellung, dass man die Krise gemeinsam durchleben muss. Und auch das wurde gesehen: Möglicherweise gibt es durch einen erzwungenen Leerlauf auch die Chance auf den Start eines Transformationsprozesses. Denn in einem war man sich dann doch sehr einig: Dieser braucht Zeit!

Wenn man aber einerseits aufpassen muss, die Institutionen mit der Demokratisierungsbildung
nicht zu überfrachten, und auf der anderen Seite der Traum von der Revitalisierung der Demokratie
durch Kunst und Kultur noch nicht ausgeträumt ist, dann müssen neue Gestaltungsideen her. Dies ist ein Auftrag, den man aus dem 11. Kulturpolitischen Bundeskongress mit nach Hause nehmen konnte: Geht auf die Suche nach Möglichkeitsräumen! Die zwei Tage in Berlin haben gezeigt, dass jede der Diskussionen ein Stück dazu beitragen konnte, den Weg dorthin zu ebnen.

Anke von Heyl

Anke von Heyl ist Kunsthistorikerin (M.A.) und war u.a. Redaktionsleiterin beim teNeues Verlag und wissenschaftliche Mitarbeiterin des Museumsdienstes Köln. Seit 2002 arbeitet sie als Beraterin für Museen und Kultureinrichtungen deutschlandweit und betreibt ein erfolgreiches Kulturblog. Sie hat sich auf die Publikumsorientierung spezialisiert und bildet als Social-Media-Expertin in Fortbildungsreihen (u.a. Dive In) für den Kulturbereich weiter. Ihre Schwerpunkte sind partizipative Formate und digitale Wege ins Museum. Anke von Heyl ist derzeit für die Kulturentwicklungsplanung u.a. in Gelsenkirchen tätig.